Gedanken eines Liebhabers guten Geschmacks zum Weltdesign-Tag 2022
von David Koebel
Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass sich die modernen Autos immer mehr ähneln? Innerhalb einer Marke ist das besonders deutlich, da wird das Designthema zum Markenzeichen. Man muss schon ein Experte sein, um bei manchen Herstellern die einzelnen Modelle noch fehlerlos zuordnen zu können, und auch zwischen den Modellgenerationen sind die Ähnlichkeiten groß. Aber auch quer durch die Hersteller sieht das Erscheinungsbild der Fahrzeuge immer verwandter aus.
Das durchgängige Thema der Gestaltung ist ein aggressives, ähnlich wie bei Raubtieren, und ich glaube wirklich, dass ich damit nicht übertreibe. Dieser böse Ausdruck, Pardon, dieser böse „Look“ dient dem sogenannten „Überholprestige“, also dazu, andere Verkehrsteilnehmer von den linken Fahrspuren zu vertreiben. Es geht wirklich darum, dass die Autofahrer ihr Fahrzeug weniger dafür benutzen, um von A nach B zu gelangen, sondern auf unseren Straßen findet eine Art Maskerade statt, bei der die Autofahrer sich in ihren persönlichen Kokon begeben, der sie augenblicklich in fahrende Strassen-Fabelwesen transformiert, einem Avatar, mit dem sie auf der Bühne des Asphalt-Dschungels auftreten. Sie möchten im Rückspiegel eines Vorausfahrenden schrecklich und brutal aussehen, möglicherweise eine Art Wettrennen initiieren oder sich einfach vordrängeln, sich die Vorfahrt nehmen.
Lustigerweise sind die KFZ-Hersteller seit kurzem dazu übergegangen, auch das Heck des Wagens mit aggressiv blickenden Rückleuchten auszustatten. Damit meint man anscheinend, sich in beiden Richtungen seine Daseinsberechtigung erstreiten zu können. Im asiatischen Raum spricht man wörtlich von den „Augen des Autos“, wenn man dessen Scheinwerfer meint. Längst dient deren Form und Gestaltung nicht mehr allein der Funktion. Stattdessen sind aus den ehemals friedlich dreinschauenden Leuchten eines Renault Twingo zusammengekniffene Leuchtenschlitze geworden, mit Blechsicken, die Zornesfalten andeuten, mit Standleuchten, welche die wütend verzogenen Augenbrauen ergeben und prominenten LED-Lampen im Innern, die an Adrenalin-erweiterte Pupillen erinnern.
War das anfangs noch teilweise unfreiwillig komisch, findet es heute vollkommene Akzeptanz und wird, insbesondere von der Automobilpresse, artig beklatscht. Dabei gab es Zeiten, in denen derartiges Gebaren als vulgär empfunden wurde und tatsächlich nur im Rotlichtmilieu anzutreffen war. Damals konnte man noch Autos verkaufen, die vornehme Eleganz und Souveränität ausstrahlten. Man denke nur an die bullige und durch nichts zu erschütternde Gelassenheit, die noch ein Wagen 124 von Mercedes-Benz in den 80er und 90er Jahren ausstrahlte.
Britische Untertreibung und schwäbische Sachlichkeit
Stoische Souveränität strahlten auch Automobile aus, deren Marke zwar nach einer schwarzen und aggressiven Raubkatze benannt wurde, die aber dennoch einzelne Modelle als „Souverän“ bezeichnete (siehe Foto Nr. 1). Die britische Marke hatte dabei immer ein wenig mehr Eleganz und Vornehmheit als die deutsche Nobelmarke, die stets eher auf Solidität und Zuverlässigkeit achtete.
Bei den Schwaben war nüchterne Sachlichkeit damals Programm, was auch den Verzicht auf klangvolle Modellnamen erklärt. Um einzigartigen Design-Ikonen, wie dem Wagen113 SL dennoch einen unverwechselbaren Namen zu geben, wurde die Anhängerschaft selbst erfinderisch und taufte ihn „die Pagode“, nach dem asiatischen Tempel, dessen Dachecken ebenfalls über den Dachhimmel erhaben sind (siehe Foto Nr. 2). Der französische Chefdesigner von Mercedes-Benz, Paul Bracq, zeichnete damals für einige der elegantesten und vornehmsten Mercedes‘ verantwortlich, die bis dato von den Stuttgartern gebaut wurden (siehe Foto Nr. 3).
Französischer Erfindergeist und Esprit
Französische Autos glänzten oft mit ähnlicher Eleganz und ansprechend zeitloser Gestaltung, hatten aber das gewisse Extra, daß gelegentlich als „Esprit“ bezeichnet wurde. Man denke nur an die D‑Modelle der Marke Citroën. Diese stromlinienförmigen Ikonen der Produktgestaltung hatten Modellkürzel, welche im Französischen entweder die „Göttin“ oder die „Idee“ lautmalend erklingen ließen (siehe Foto Nr. 4). Und tatsächlich überzeugen das Design von Flaminio Bertoni und die Technik auch heute noch, denn die vielen technische Ideen, welche Citroën mit diesen Autos verwirklichte, setzen sich zumeist erst viel später markenübergreifend durch. Anfängliche Kinderkrankheiten beraubten diese Autos in den ersten Jahren gelegentlich ihrer optischen Souveränität, wenn sie sich deswegen auf einem Abschleppwagen wiederfanden. Dafür findet sich heute Citroëns Luftfederung in sämtlichen Autos der Oberklasse wieder, auch wenn davon keinerlei Aufhebens gemacht wird.
Als wichtige Regel lässt sich über eine gute Gestaltung einer Karosserie sagen, dass sie unverwechselbar und originär sein und natürlich gefallen muss. Schlechtes Design hingegen ist dadurch gekennzeichnet, dass es viele gestalterische Elemente einer Mode nachahmt, d. h. einem zeitgeistigen Stil konform ist. Ist die Modewelle abgeebbt, dann sind Modelle und ihr „Styling“ plötzlich für jedermann optisch kaum noch erträglich. Der Mensch mit ästhetischem Verständnis mag mit seinem guten Geschmack gleich richtig liegen, alle anderen stimmen dann im Nachhinein zu. Beispielsweise gab es die Ära der amerikanischen Straßenkreuzer, deren Gestalt durch riesige Ausmaße und deren Styling durch üppigen Chrom-Zierrat und überbordende Heckflossen gekennzeichnet waren und die heute bestenfalls als skurril, aber keinesfalls als schön empfunden werden (siehe Foto Nr. 5).
Dazwischen gab es immer wieder auch wunderbare amerikanische Design-Ikonen, wie den Ford-Mustang, entworfen von Gale Halderman, der am Markt außerordentlich erfolgreich war, oder den Studebaker Avanti, der vom Design-Papst Raymond Loewy entworfen wurde, dem aber leider weniger Erfolg beschieden war und die Marke letztlich nicht retten konnte. Etliche Details dieser Autos findet man später an anderer Stelle wieder, z. B. die markante C‑Säule des Studebaker bei dem formschönen Modell 205 von Peugeot aus den 80er-Jahren.
„Hässlichkeit verkauft sich schlecht.“ war der geflügelte Leitspruch Raimond Loewys, und tatsächlich waren seine Schöpfungen durch Formgefühl, Kreativität und Symbolkraft derart bestechend, dass er sie sogar an Kunden verkaufte, dessen Produkte überhaupt keinem Wettbewerb ausgesetzt waren. So wurde das Apollo-Programm der NASA und die astronautische Raumfahrt durch ihn mit einem klaren und futuristischen Design ausgestattet, das ein wenig an das deutsche Bauhaus erinnerte. In einem privaten Projekt verwandelte er einen mit barockem Chrom-Zierrat ausgestatteten Strassenkreuzer in einen eleganten und britisch anmutenden Wagen. Dabei konnte ein großer Teil des Budgets durch den Verkauf der Zierteile an einen Schrotthändler refinanziert werden.
Kreativität und Inspiration
„Das Geheimnis der Kreativität ist, seine Quelle gekonnt zu verheimlichen.“ ist ein Zitat von Albert Einstein, das er möglicherweise gar nicht nur ironisch meinte. Damit komme ich auf das eingangs geschriebene zurück, denn die vielen Ähnlichkeiten zwischen den Automodellen, insbesondere unterhalb der Marken, betreffen praktisch immer nur einzelne Teile der Karosserie. Die Radläufe bzw. Gestalt der Kotflügel des Jeep Renegade finden sich beim Mercedes GLS wieder, die Front des Citroën Cactus findet sich beim Hyundai Kona wieder, ebenso wie die Audi-Frontpartie den Betrachter aus vielen anderen Autos anblickt. Die Scheinwerfer des Dacia Duster sind denen des VW Amarok verblüffend ähnlich, und diese Liste ließe sich seitenlang fortsetzen.
Die Zwänge der Strömungsmechanik
Die Devise „form follows function“ wurde einige Zeit propagiert, aber vermutlich eher von wenig kreativen Zeitgenossen. Demgegenüber sind die Gebote der Stromlinienförmigkeit bzw. Aerodynamik zur Reduktion des Luftwiderstands natürlich funktionale Zwänge, zu denen alle effizienten Automobile konform sein müssen. Dahingehend beispielhaft war auch das Modell SM des französischen Herstellers Citroën, dessen schnittige Gesamtform sich ein halbes Jahrhundert später bei vielen heutigen Autos wiederfinden lässt (siehe Foto Nr. 6). Diese ist dadurch geprägt, dass die in Fahrrichtung projizierte Fläche gering ist und die Form zum Heck des Fahrzeugs hin sanft konvergiert, sodass die Strömung so lange wie möglich anliegt, der statische Druck wieder ansteigt und der Umschlagpunkt zur turbulenten Strömung erst an einer finalen Abrisskante stattfindet. Dadurch ist der integrale Luftwiderstand des Fahrzeugs minimal, eine Tatsache, die bei der Gestaltung von Automobilen über Jahrzehnte unbeachtet blieb, weil der Kunde eine Form ähnlich einer rückwärts aufgesetzten Schirmmütze schick bzw. „cool“ fand. Auch die aerodynamisch sinnvolle hintere Radabdeckung, die Citroën aus eben diesem Grund einführte, setzte sich nicht durch, obwohl sie den Luftwiderstand deutlich, d.h. um etliche Prozent verringert. Rudimentär fand sie sich bei vielen Automobilen wieder, selbst bei der ewig geliebten Alfa Romeo Giulia (siehe Fotos Nr. 7 und 8). Dieser technisch ebenfalls sehr moderne Wagen verbrauchte offensichtlich stets einen größeren Anteil der eingesetzten Antriebsenergie, um sich dem Fahrtwind entgegenzustemmen, als dies beim Citroën SM der Fall war.
Konformitätsdruck und unternehmerisches Risiko
Erst in jüngster Zeit führte der immer größer werdende Konformitätsdruck dazu, dass kein Hersteller beim Design noch von der gängigen Norm bzw. dem vorherrschenden Geschmack abweicht. Womit wir wieder auf die eingangs verkündete, sehr plakativen Behauptung zurückkommen, die zwar subjektive Beobachtung ist, sicherlich aber von allen Freunden schöner Autos und von ästhetisch geschulten Zeitgenossen geteilt wird.
Ist eine neuzeitliche Ideenlosigkeit und ein Mangel an Kreativität zu beklagen? Dafür spräche, dass etliche Hersteller mit überarbeiteten Neuauflagen klassischer Design-Legenden große Markterfolge feiern. Der Rover Mini Cooper in der Neuauflage von BMW ist dafür ein Beispiel, ebenso wie der neue, als „Beetle“ verkaufte VW Käfer oder die gestalterische Legende des Fiat 500. Auch das Modell 911 von Porsche ähnelt in seiner Gesamtform seinem Urahnen von 1963 stark, ist jedoch wesentlich größer, breiter, stärker und vom Aussehen her eben aggressiver geworden. Überhaupt ist das Porsche-Design legendär und ein eigenes Qualitätssiegel, das der Konzern jahrzehntelang erfolgreich in allen Bereichen des Industriedesigns vermarktete. In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts hatten die Zuffenhausener neben dem Modell 911 noch den 928 und den 944 im Programm, also insgesamt drei Design-Ikonen, die jeweils eine ganz eigene, unverwechselbare Formensprache besaßen, kurz gesagt, einfach schön waren und den Betrachter auch heute noch überzeugen. Das erreicht Porsche, mit Verlaub, heute nicht mehr. Irgendwie erinnern alle Modelle an den 911 bzw. dessen Urahn, den 356, sei es der 992 als neuester Interpretation des Themas, der Panamera oder der Porsche Cayenne. Eine berechtigte Erwiderung zu dieser Kritik ist natürlich, dass der Markt, auf dem die Firma Porsche sehr erfolgreich seine Sportwagen anbietet, dem Hersteller recht gibt. Letztendlich wird die Zeit zeigen, welche automobilen Schöpfungen überdauern und als eine Art zeitgeschichtliche Gebrauchskunst in der Zukunft anerkannt sein werden. Eine X‑te Neuauflage eines Designthemas wird es mit Sicherheit nicht sein.
Ist eine neuzeitliche Ideenlosigkeit und ein Mangel an Kreativität zu beklagen? Dafür spräche, dass etliche Hersteller mit überarbeiteten Neuauflagen klassischer Design-Legenden große Markterfolge feiern. Der Rover Mini Cooper in der Neuauflage von BMW ist dafür ein Beispiel, ebenso wie der neue, als „Beetle“ verkaufte VW Käfer oder die gestalterische Legende des Fiat 500. Auch das Modell 911 von Porsche ähnelt in seiner Gesamtform seinem Urahnen von 1963 stark, ist jedoch wesentlich größer, breiter, stärker und vom Aussehen her eben aggressiver geworden.
Überhaupt sind die gestalterischen Entwürfe der Firma Porsche legendär und ein eigenes Qualitätssiegel, das der Konzern jahrzehntelang erfolgreich in allen Bereichen des Industriedesigns vermarktete. In den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hatten die Zuffenhausener neben dem Modell 911 noch den 928 und den 944 im Programm, also insgesamt drei Design-Ikonen, die jeweils eine ganz eigene, unverwechselbare Formensprache besaßen, kurz gesagt, einfach schön waren und den Betrachter auch heute noch überzeugen. Das erreicht Porsche, mit Verlaub, heute nicht mehr. Irgendwie erinnern alle Modelle an den 911 bzw. dessen Urahn, den 356, sei es der 992 als neuester Interpretation des Themas, der Panamera oder der Porsche Cayenne. Eine berechtigte Erwiderung zu dieser Kritik ist natürlich, dass der Markt, auf dem die Firma Porsche sehr erfolgreich seine Sportwagen anbietet, dem Hersteller recht gibt. Letztendlich wird aber die Zeit zeigen, welche automobilen Schöpfungen überdauern und als eine Art zeitgeschichtliche Gebrauchskunst in der Zukunft anerkannt sein werden. Eine X‑te Neuauflage eines Designthemas wird es mit Sicherheit nicht sein.
In diesem Beitrag zum Thema Design hoffe ich jedenfalls, dass mit den abgebildeten Beispielen ich dem Leser Anregung und Freude bereiten konnte.
Bildnachweise:
[1] Mercedes SL 230 von Aleksei Andreev #9932477 via Pexels
[2] Porsche 911 by Adrien Vajas Apa13LFPClU via unsplash
Hey people!!!!!
Good mood and good luck to everyone!!!!!